Ein Virus breitet sich weiter
aus. Oder ist es die Panik, die zur weiteren Ausbreitung führt? Weil wir durch
unser Verhalten unser Immunsystem immer mehr schwächen? Es wird so viel darüber diskutiert,
dass ich dem nichts hinzufügen möchte, sondern meinen Fokus auf etwas anderes
richten will. Auf die Natur.
Auf das, was uns gerade jetzt im
Frühjahr darin begegnet. Es wird schön werden, das verspreche ich.
Jeder kann bewusst selbst wählen, jetzt
in den Wald oder in den Garten zu gehen oder seinen Balkon zu begrünen. Selbst
eine Blumenfensterbank im Zimmer ist noch etwas Liebenswertes und kann uns glücklich machen, wenn wir die Pflanzen beim Wachsen beobachten und uns an ihrem Gedeihen erfreuen.
Oder man kann sich weiter mit immer wieder neuen und oft dazu noch nicht einmal
gesicherten Meldungen aus den Medien füttern. Wem hilft das? Es genügt eine
Nachrichtensendung am Tag. Mehr braucht es nicht.
Mehr denn je ist das Leben im
HIER und JETZT gefragt. Die nahen Dinge sind heilsam. Im Garten, im Wald.
Spaziergänge sind möglich. Die Abstände groß. Warum also nicht hinausgehen und …
die Sinne fordern?
Wie ich schon im letzten Blogpost
schrieb, bin ich selbst jetzt wieder öfter draußen, wenn möglich jeden Tag.
Dabei suche ich verschiedene Wälder der Umgebung auf. Nie weit entfernt von
unserem Zuhause, aber doch entfernt voneinander.
Und dabei entdeckte ich etwas
Erstaunliches:
Die Beschäftigung mit unseren
gefiederten Freunden im letzten Jahr beschert mir in diesem Jahr eine beglückende Ernte. Solche Glücksgefühle sind es, die unsere Gesundheit stabilisieren. Das wurde mir bei unserem letzten
Waldspaziergang sehr deutlich bewusst.
Wir stellten das Auto auf einem Parkplatz am Waldrand ab, um dort eine kleine Wanderung zu unternehmen.
Im Moment des Aussteigens schaltete mein
Gehör sofort von Innenraumwahrnehmung auf Waldhören um. Dabei geschah mit meinen
Ohren etwas Eigenartiges. Die folgende Skizze soll
illustrieren, was passierte, als ich aus dem geschlossenen Auto in den Wald eintrat:
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Skizze aus meinem Naturtagebuch |
Früher wäre ich ausgestiegen und
hätte gesagt: „Wie schön! Die Vögel singen!“ Ich hätte einen diffusen
Klangteppich wahrgenommen, dem ich den Namen „Vogelkonzert“ gegeben hätte.
Im Verhältnis zu heute war es
eine eher dumpfe, einheitliche Wahrnehmung, die mir zwar ein angenehmes Gefühl
gab, aber das war’s dann auch schon.
Doch wie anders erlebe ich das heute!
Mein Gehör streckt sich im Moment des Aussteigens aus wie ein Fächer. Von einem fiktiven Punkt in der Mitte meines Kopfes aus richtet sich meine hörende Aufmerksamkeit aktiv in alle Richtungen, quasi strahlenförmig. Jeder gedachte Hörstrahl begibt sich aktiv auf die Suche.
Ich will das genauer beschreiben.
Das Suchziel, meine innere Willensbestimmung, ist das Aufspüren einzelner Vögel. Dazu habe ich in den letzten beiden Jahren viel Vorarbeit geleistet. Ich habe mit Bestimmungsbüchern und Hördateien viele verschiedene Vogelstimmen studiert und sie mir fast täglich akustisch einverleibt. Ich habe das Gelernte bei jeder Gelegenheit draußen getestet - sozusagen meine Miniprüfungen absolviert.
So komme ich also heute aus dem geschlossenen Raum, fahre den Hörfächer aus und in meinem Gehirn reagieren die in den letzten beiden Jahren gebildeten Synapsen.
Pure Lernpsychologie!
Hören, vergleichen, wiederholt hören, vergleichen, innere Bilder zu Melodien erfinden, die inneren Hördateien erweitern, anwenden, neue hinzufügen ...
Dieses ständige Wiederholen hat die Synapsen verstärkt.
Dazu kamen dann natürlich Abbildungen der Vögel, Begegnungen mit ihnen im Garten, in den ich sie durch ganzjähriges Füttern eingeladen hatte.
Und nun ist es so weit. Der Winter ist vergangen, die aktive Zeit in der Natur beginnt wieder. Erntezeit ... wie ich schon schrieb.
Beim Erstellen des akustischen Waldbildes (beschränkt auf die Stimmen der Vögel und ihre ab und zu auch wahrnehmbaren Gestalten) unterscheide ich:
Die Lage des Tones im Raum (höher, tiefer, näher, weiter), die Richtung, aus der er kommt, die Lautstärke, Bewegungen, Entfernungen zwischen gleichen/ähnlichen Melodien, Toncharaktere wie scharf, weich, ätzend, rau, ziehend, bewegt, ruhig, hoch, tief u.v.m.).
Ich höre einzelne Gesänge, die sich aus individuellen Tonfolgen zusammensetzen. Ich orte sie, vergleiche sie, ordne sie zu, verfolge sie, wenn sie ihren Platz wechseln.
Dabei entsteht in meinem Inneren ein akustisches Bild des Vogelbiotops, in das ich eingetreten bin. Dabei stelle ich auch meine Defizite im Erkennen fest, versuche, mir noch nicht sicher angeeignete Melodien zu merken, die ich fürs Erste mit meinem Diktiergerät aufnehmen kann, um sie zuhause mit meinen Vogelstimmendateien abzugleichen und mein Repertoire zu erweitern.
Zu diesem Zweck kann ich wärmstens das Buch
Magie der Vogelstimmen von Walter Streffer empfehlen, das sehr interessante Fakten zum Studium der Vogelstimmen vermittelt und zusätzlich eine CD mit mehr als 80 Hörbeispielen enthält.
Praktisch kann dieses akustische Erfassen etwa so ablaufen:
Ich höre links über mir eine
Singdrossel, etwa 50 - 100 m entfernt einen
Zaunkönig, dessen Entfernung schwer einzuschätzen ist, weil Zaunkönige im Verhältnis zu ihrer Größe unglaublich laut singen. Rechts hinter mir in Buschhöhe tschilpt ein
Sperling. Ganz hoch oben rechts lässt ein
Buchfink seine kaskadenartige Melodie verlauten, mit dem kurzen Schlenker am Ende. Auf etwa gleicher Höhe müsssen zwei
Kohlmeisen miteinander kommunizieren oder ihre Reviere abgrenzen. Ich höre sie in stetigem Wechsel.
Ich "sehe" quasi mit den Ohren. Dabei benenne ich erst mal die Instrumente des Orchesters mit Namen.
Zugleich höre ich, was die einzelnen Instrumente ( = Vögel) spielen ( = singen). Aus all dem setzt sich das Orchesterstück ( = Vogelkonzert) zusammen.
Dabei entsteht ziemlich rasch ein Gesamthöreindruck, mit dem ich Vogelkonzerte in verschiedenen Waldstücken unterscheiden kann. Hätte man mich beim letzten Spaziergang mit verbundenen Augen in den Wald gebracht, ich hätte gehört, dass ich nicht im selben Wald war wie am Vortag.
Natürlich wirken sich auch unterschiedliche Tages- und Jahreszeiten auf den Gesamtcharakter eines Vogelkonzerts aus.
Viel Spaß nun bei Deinen eigenen Bestrebungen, einen solchen Hörfächer auszubilden!
Voraussetzung ist natürlich, dass Du beginnst und dann am Ball bleibst.
Glücksgefühle sind garantiert!